Sexualität

CHF15.00

Fast ein Jahrzehnt ist es her, dass Sozial Aktuell der Sexualität im Kontext Sozialer Arbeit ein ganzes Heft gewidmet hat (vgl. Sozial Aktuell, Nr. 21, Dezember 2002). Dazwischen gab es themenbezogene Hefte zu HIV/Aids (2004), Prävention sexueller Gewalt (2005) und

Tabus – auch in der Sozialen Arbeit. Über Liebe und Missbrauch (2006).

Wir fanden, dass die Zeit reif ist, ein neues Themenheft Sexualität und Soziale Arbeit zu gestalten, um im Sinne einer Bestandesaufnahme die aktuellen Entwicklungen in Praxis, Politik und Wissenschaft abzubilden sowie anstehende Aufgaben für die Zukunft zu skizzieren.

Gegenwärtig wird der öffentliche Diskurs über Sexualität durch zwei einander widersprechende Grundhaltungen bestimmt: Auf der einen Seite sind die Individuen aufgefordert, jederzeit Identitätsarbeit zu leisten und ihre Sexualität frei, selbstbestimmt und einvernehmlich zu leben. Auf der anderen Seite scheint es heute populär zu sein, bei Medienmeldungen über sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt immer rigidere Sexualstrafnormen einzufordern. Nach dem amerikanischen Soziologen John H. Gagnon schafft die Art von Sexualität, an die die Mitglieder einer Gesellschaft glauben, die Art von Sexualität, die sie erhalten (vgl. Human sexualities, 1977). Die gegenwärtig gültige Sexualmoral – die so genannte Verhandlungsmoral – erfordert starke Sozial- und Selbstkompetenzen, da der moralische Massstab in sexuellen Beziehungen deren einvernehmliche Aushandlung ist. Dieses Moralkonzept entspricht einer mündigen demokratischen Bürgergesellschaft, deren Mitglieder sich als Gestaltende ihrer selbst wahrnehmen und vernunftgeleitet ihre Sexualität und Partnerschaft leben. Die freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit – insbesondere in Sexualität und Beziehungsgestaltung – ist ein hohes, schützenswertes Gut, dessen Einschränkung nicht ohne weiteres hingenommen werden sollte. Die Geschichte der Sexualität kennt viele solche Versuche beschränkender Einflussnahme, deren Auswirkungen stets negativ waren; für die Einzelnen wie für die Gesellschaft. Es liegt bei der Sozialen Arbeit, inwiefern sie sich an immer rigideren Aufsichts- und Sanktionsmassnahmen beteiligt bzw. instrumentalisieren lässt – wie schon einmal in Form der staatlichen Fürsorge bis weit ins 20. Jahrhundert hinein oder ihre gegenwärtige Aufgabe viel eher auf dem Hintergrund von empirischen Forschungsergebnissen darin sieht, mit Programmen der Bildung und Beratung Befähigungsgerechtigkeit zu Themen der Sexualität und Partnerschaft herzustellen.

Das vorliegende Heft richtet den Aufmerksamkeitsfokus auf aktuelle gesellschaftliche, soziale und berufspolitische Herausforderungen. Unsere Autorinnen und Autoren berichten ohne aufgeregten Alarmismus über Themen und Fakten. Viel Spass beim Lesen!